Karfreitag und Ostern 2018 / Nagypéntek és Husvét 2018

Der Riss

 

 

 

 

 

“So redete Jesus, und er erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche.
Denn du hast ihm Macht gegeben über alle Sterblichen, damit er alles, was du ihm gegeben hast, ihnen gebe: ewiges Leben. Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus. Ich habe dich auf Erden verherrlicht, indem ich das Werk vollendet habe, das zu tun du mir aufgetragen hast. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.”  (Johannes 17.1-5)

Verherrlicht werden, heisst im Johannesevangelium» von der Erde erhöht werden«. Wer von der Erde erhöht wird, verliert den Boden unter den Füssen. Jesu Feinde werden ihm den Boden unter den Füssen wegziehen und ihn erhöhen – ans Kreuz. Die Kirche darf nicht ausblenden, dass ihr Herr keine grössere Herrlichkeit erstrebte als diejenige des Todes. Und diese ungewöhnliche, weil bedrückende Herrlichkeit auch irgendwie auf die Kirche abfärben muss. Das wussten die Kirchenleute schon immer. Manchmal behalfen sie sich mit einem griesgrämigen Gesicht. Das ist immerhin ein Zeichen.

Die traurige Herrlichkeit des Todes Jesu Christi bedeutet nichts Geringeres, als dass Gott aus der Welt entfernt wird. Jesus war ja Gottes Gesandter. Man stelle sich vor, ein Staat würde den Botschafter eines anderen Staates hochoffiziell umbringen lassen. Daraus entstünde eine politische Krise sondergleichen. In der Diplomatie geht es immer mit Würde zu und her.

Weil sich hinter den Menschen die sich auf diesem Parkett bewegen, ganze Mächte  verbergen. Deshalb er regt es Aufsehen, wenn Grossbritannien ein paar russische Diplomaten wegschickt und umgekehrt.

Jesus bewegte sich als Gesandter Gottes nicht auf diplomatischen Parkettböden, sondern in den groben Furchen der täglichen Mühsal. Er war Zimmermann und scheute die Begegnungen mit einfachen Menschen in keiner Weise. Es gab also gute Gründe, diesen Botschafter Gottes in der Welt zu akkreditieren, wie das in der Diplomatensprache heisst. Darin steckt das Wort credere, glauben. Ein Botschafter überreicht sein Beglaubigungsschreiben. Das mutet etwas verstaubt an, aber dahinter steckt das Bedeutendste, was sich unter Menschen ereignen kann, nämlich ein Vertrauensantrag und eine Vertrauenszusage. Das Wichtigste zwischen Menschen und Völkern sind nicht Verträge, sondern das Vertrauen.

Jesus hat den Vertrauensantrag gestellt, aber wurde nicht empfangen. Die Hinrichtung von Gottes Botschafter ist ein feindseliger Akt gegen die Gegenwart Gottes auf Erden. Als man ihn ans Kreuz erhöhte und ihm damit den Boden unter den Fussen wegzog, da hat die Welt in feindseliger Weise die Beziehungen zu Gott abgebrochen. Wir leben in einer Welt, – die höflich gesagt – vom wahren Gott Abschied genommen hat.

Zwar ist die Welt alleweil noch zu haben für sichtbare Götter, oder für solche, die sie sich selber zurechtlegt. Obskure Sekten werden in den Medien vorgeführt werden wie Paradiesvögel, gemischt aus Spott und Faszination.

Gott will nicht, dass wir ihn als Paradiesvogel im Käfig halten und vor Besuchern herumfliegen lassen. Seinen Missmut über Vereinnahmungen aller Art hat er längst kundgetan, schon in der Bibel, als sich der Gottesdienst schleichend in einen Service verwandelte, der von Routine anstatt von Vertrauen getragen wurde. Gott brach diese Art von Beziehung ab. Erst nach geraumer Zeit gewährte er die unerwartete Ausnahme und liess sich sehen. Er liess über sich verfügen. Und die Welt hat über ihn den Tod verfügt. Wir leben in der Welt, die Gott los sein will, um die Bahn frei zu machen für andere Mächte. Solches geschieht üblicherweise zuerst mit List und später mit Gewalt.

Die List ist eine Taktik, sich zu verkleiden und etwas vorzutäuschen. Luther hat gemerkt, dass der Satan in den biblischen Geschichten die Taktik anwendet, Gott nachzuäffen.

Man erinnere sich an die schönen und oft religiös anmutenden Sprüche, welche die Tyrannen ihren Untertanen vorklopften, bevor sie sie zur Schlachtbank führten. Auch als Jesus

verhaftet wurde, äfften seine Feinde Gott nach, indem sie ihn der Gotteslästerung beschuldigten. Sie spielten sich als Sachwalter Gottes auf und liquidierten Gottes Gesandten. Wenn schon lügen, dann ist es am besten, man verdreht die Wahrheit ins Gegenteil. Die Verdrehung ins Gegenteil fällt weniger auf als kleine Abweichungen von der Wahrheit

Macht ist ein Suchtmittel. Wer sie ausübt hat nie genug davon. Deswegen ist es wichtig, dass die Macht begrenzt ist.

Es ist nicht so schlimm, wenn das Stimmvolk mal daneben langt und einen Dummkopf oder Halunken in ein öffentliches Amt wählt. Aber entscheidend ist die Begrenzung. Man sollte die Fehlbesetzung beenden können. Die Hinrichtung Jesu ist ein Versuch, sich aus den Begrenzungen freizustrampeln. Wer kennt nicht diese Momente, wo Gottes Gegenwart unerwünscht ist?

Momente, wo man allein sein will. Allein mit seinem Schmerz, ohne sich von ihm trösten zu lassen. Allein mit seiner Sünde, ohne sich von ihm helfen zu lassen. Vielleicht auch allem mit seiner Macht, ohne sich von ihm beunruhigen zu lassen. Als solche, die ohne Gott sein mochten, stehen wir unter Gottes Gericht. Deshalb kann uns die Botschaft vom Leiden Jesu durchaus erschrecken.

Allerdings: Wer vor Gott erschrickt, der erschrickt heilsam. Wer auf seinem Gericht antreten muss, der darf dort nicht nur ein hartes Urteil, er darf auch Gnade erwarten. Jesus erhob seine Augen zum Himmel, steht in der Einleitung des Kapitels.

Und am Ende des Geschehens neigte er sein Haupt und gab den Geist auf. Der erhobene Kopf mit dem Blick nach oben und der geneigte Kopf mit den gebrochenen Augen – das braucht kein Widerspruch zu sein. Nicht heroisch hebt er seine Augen zum Himmel, vielmehr gehorsam. Er sucht die Verbindung zum Vater, weil er weiss, dass nur des Vaters Macht mit dem Tod fertig wird.

Der Vorgang der Kreuzigung ist und bleibt grässlich. Schrecklich ist eine Tötung an sich schon; fürchterlich ist eine Kreuzigung, weil sie so qualvoll ist; und widerlich sind Begleitumstände, wie sich die Menschen verhielten, vom Volk über Herodes und Pilatus bis hin zu Petrus. Diesen schmerzlichen Riss wollen wir nicht beschönigen. Aber dieser Riss hat eine andere Seite. Gott reisst auch einen ewigen Schranz in das Wesen der Welt. Einen Schranz der Liebe. Auch diesen Riss an niemand mehr flicken.

Das Bild einer unveränderlichen Welt in der Leere des Weltraums ist überholt. Diese Welt mit ihren unzähligen inneren Kämpfen und Konflikten hat jetzt einen Riss – den Riss der Liebe. Der Hass ist durchbrochen durch die Liebe. Und der Tod ist durchbrochen durch die Kraft des ewigen Lebens. Die Welt mag noch so gottlos sein, der Riss bleibt als Lücke für Gott geöffnet.

Deshalb sind den Abscheulichkeiten Grenzen gesetzt. Die Liebe gewinnt die Oberhand über die unberechenbaren Zuckungen des Verderbens.

Quelle: Peter Ruch, Pfarrer i.R. Küssnacht am Rigi